„Alltagsdialoge“
Hör- und Sprachförderung für Eltern und ihre hörgeschädigten Kinder

Der Weg ist das Ziel

Beim Schmökern auf der Kleinen Lauscher Homepage wurde ich auf eine Veranstaltung mit Gisela Batliner, Hörgeschädigtenpädagogin und Psycholinguistin, die am 25. Juni 2005 stattfinden sollte, aufmerksam.

Organisiert hatte das Ganze „Unerhört – Selbsthilfegruppe von Eltern hörgeschädigter Kinder Rhein-Main-Neckar e.V.“ (Tel. 0 61 52 / 5 85 22, mail-forunerhoert@arcor.de www.unerhoert.info.ms), unter Federführung von Fam. Metzger. Und so trafen sich bei hochsommerlichen Temperaturen bestens aufgelegt Teilnehmer, Mitglieder, Veranstalter und Referentin im Evangelischen Gemeindehaus in Gross Gerau.

Frau Batliner betreibt ihre Praxis in München und hat bereits 2 Bücher zur Hörgeschädigtenpädagogik veröffentlicht.

Frau Batliner erklärte uns, dass Eltern Sprache nicht lehren, sondern unbewusst eine Umgebung schaffen, in der die Kinder Sprache erwerben können. Unsere schwerhörigen Kinder brauchen eine frühe Förderung und eine frühe Versorgung mit technischen Hilfsmitteln. Leider wird auch heute oft noch die Hörschädigung zu spät erkannt – dennoch die meisten Kinder haben sich gut entwickelt, so die Referentin.

Morag Clark spricht vom natürlichen hörgerichteten Ansatz:
„A deaf child has special needs, but these are not for something different, but for more of normality.“
Für uns bedeutet das: unsere betroffenen Kinder brauchen mehr vom “Normalen” und benötigen dafür mehr Zeit. Wir als Eltern brauchen mehr Zeit, mehr Geduld und mehr Zuversicht!

Zur Unterstützung wurde uns hier ein Video gezeigt. Besonders am Anfang, wenn noch wenig vom Kind zurückkommt und man selbst nicht weiß, was überhaupt beim Kind ankommt, ist es enorm wichtig, normal zu sprechen und diese Phase „durchzuhalten“.
 


I. Wie lernt nun mein Kind auf Sprache zu achten und mich zu verstehen?

Frau Batliner brachte uns nun die Merkmale des natürlichen, quasi automatisch von uns ausgehenden Eltern-Kind-Dialoges nahe:

Insgesamt ist die Sprache der Eltern prosodisch sehr ausgeprägt.
Achtung: Pausen können Inhalt des Gesprochenen sehr verändern, ein Beispiel:
Hans sagt, der Lehrer ist zu spät gekommen.
Hans, sagt der Lehrer, ist zu spät gekommen.

Eltern verwenden Lautstärkekontraste.
Wahrnehmungen sind im Kontrast leichter zu empfinden, ein Beispiel:
„Papa“ wird im Satz viel lauter ausgesprochen.

Es wird verlangsamt gesprochen.
Vokale werden gedehnt.
Wichtige Begriffe werden deutlich hervorgehoben.
Es wird mit vielen Wiederholungen gesprochen.
(Man sollte ganz oft wiederholen; bei Kindern die bereits weiter gefördert sind, kann man diese etwas reduzieren.)

Bei jüngeren Kindern empfiehlt Frau Batliner auch oft über die Befindlichkeit zu reden (Hunger, müde sein, traurig sein etc.).
Bei älteren Kindern sollte man auch weiter darauf achten, emotionale Dinge hervorzuheben, man könnte z.B. fragen beim Bilderbuchlesen: „Was meinst Du, wie er sich jetzt fühlt?“

Nur mit dem Kind zu sprechen, wenn direkter Blickkontakt besteht, ist heute überholt, so der nächste Punkt von Frau Batliner.
Ausnahme ist das erste Lebensjahr: hier ist das Anschauen des Kindes noch sehr wichtig.
Man kann es ruhig von hinten ansprechen, aus einem anderen Raum rufen, mit dem Bilderbuch auf dem Schoß vorlesen etc. Die normale Alltagssituation soll genutzt werden, nichts künstlich hervorgerufen werden, merkt sie an.

II. Wie kann ich mein Kind zum Sprechen anregen?


Merkmale des natürlichen Eltern-Kind-Dialoges

1) Eltern warten ab und geben ihrem Kind Zeit zum Sprechen

(Zeit, eigene Gedanken, eigene Ideen zu versprachlichen.)
Hier ermahnt uns die Referentin darauf zu achten, mit dem Kind zu sprechen, wenn es aufnahmefähig ist und aufmerksam, eine permanente „Beschallung“ lässt es nämlich abstumpfen, die Handlungen werden ggf. zerredet.

2) Einfache Lautmalereien werden angeboten,

die leicht imitiert werden können (Versprachlichung von Tierstimmen oder Geräuschen, z.B.: „Schau mal die Ente, quak quak.“ Oder: „Oh, es hat geklingelt, ding-dong.“)

3) Es werden Fragen gestellt

(dabei bitte nicht abfragen, sondern eher indirekt fragen oder hinterfragen); es können Alternativfragen gestellt werden („Möchtest Du Milch oder Saft trinken?), bei den älteren Kindern könnte dies zu Einschränkungen führen und daher besser offene Fragen formulieren („Was möchtest Du trinken?“). Eine weitere Anregung ist, gemeinsam zu überlegen, was passieren könnte, nachdem die Geschichte zu Ende ist (beim Buchanschauen). So wird auch das versprachlicht, was nicht visuell im Buch zu sehen ist.

4) Irritationen und Provokationen werden eingesetzt,

denn meist wird Sprache wichtig, wenn etwas nicht so gut läuft oder wenn die Erwartungen nicht eingetroffen sind.

5) Es werden gesprochene Lückentexte verwendet

z.B. „Achtung, fertig,…“ oder „Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt…..“; „Erzähl´ doch mal der Oma, was wir heute auf der Baustelle gesehen haben. Den großen Kran, den roten ….“; „Wer soll alles zu Deinem Geburtstag kommen? Der Max, die Susi, der ….“
Frau Batliner rät uns auch, Verse und Lieder einzubringen. Sie sind sehr sinnvoll und wertvoll, da sie natürliche Wiederholungen enthalten, atmosphärisch schön sind, meist einen Schlusseffekt haben (Kinder werden an der Nase gezogen oder gekitzelt etc.) und die Kinder in der Regel sehr aufmerksam dabei sind. Die Kinder sollen lernen, dass sie durch Sprache selbst etwas bewirken können!
Die sprachliche Imitation wird über die Schriftsprache angeregt. Daher sollte man diese und auch die Ziffern bereits früh in den Alltag mit einbeziehen. Man könnte z.B. mal Tischkärtchen verteilen, wenn sich Besuch angekündigt hat oder auf Schriften in der Umwelt aufmerksam machen („Schau, da steht MÜLLER. Da wohnt Dein Freund Tobias. Klingele mal.“)

6) Eltern wiederholen die Äußerungen des Kindes,
interpretieren sie und erweitern sie inhaltlich. Ein Beispiel: „Da, Ball.“ – „Ja, da hinter dem Sandkasten liegt der rote Ball.“

7) Die Eltern verwenden eine lebendige, natürliche Mimik und Gestik

„Ein natürlicher Dialog kann nicht vorausgeplant werden! Es ist wichtig darüber zu sprechen, was das Kind interessiert, so komme ich in engen Kontakt.“, betont Frau Batliner.

8) Alltags- und Spielhandlungen werden von den Eltern sprachlich dokumentiert.

Dies betrifft sowohl eigene Handlungen als auch Handlungen des Kindes. Die Signale des Kindes werden also wahrgenommen, richtig interpretiert, angemessen beantwortet, bzw. gehandelt. Dies muss schnell passieren, damit das Kind zuordnen kann.
Hier ein Beispiel: Kind zeigt die verletzte Hand. „Oh je, hast du dir wehgetan? Warte, ich puste mal.“ Oder „So, das Wasser kocht nun. Jetzt gebe ich die Spaghetti ins Nudelwasser.“

9) Das eigene sprachliche Niveau wird dem des Kindes angepasst.

Die Eltern sind dem Kind einen Hauch voraus und achten darauf, dass man nicht auf dem immer gleichen Level stehen bleibt. Man kann sich auch etwas komplexer, komplizierter ausdrücken und sollte unbedingt den Mut haben, auch schwierige Worte zu verwenden. Z.B. nicht nur Kaffee sagen, sondern auch Cappuccino usw.

Damit beendete Frau Batliner ihren Vortrag und ich muss sagen, der Vormittag verging wie im Flug. Wir alle und besonders Frau Metzger, die Initiatorin der Veranstaltung, bedankten uns für die interessanten und praxisorientierten Ausführungen von Frau Batliner. Bei Pizza und kühlen Getränken startete man in die wohlverdiente Mittagspause und zum Austausch über das eben gehörte. Der Nachmittag stand für Einzelgespräche mit ihr und zum gemütlichen Beisammensein zur Verfügung.

Zum Abschluss möchte ich noch erwähnen, dass ich immer wieder froh bin, neues lernen zu können. Dadurch gewinne ich an Zuversicht und bekomme wertvolle Tipps für den Alltag oder meine bisherige Arbeit und Erziehung mit meiner Tochter wird bestätigt. Es ermutigt auch ungemein, zu wissen, dass sich Eltern im gesamten Bundesgebiet zusammenschließen und sich organisieren, um für das Wohl, die Förderung und die Rechte ihrer Kinder zu sorgen. Positiv auch, dass der Vortrag von Logopädinnen, Frühförderinnen aus Friedberg sowie anderen Therapeutinnen aus dem Bereich der Arbeit mit hörgeschädigten Kindern besucht wurde.

Kleine Lauscher

Hessische Elterninitiative zur lautsprachlichen Förderung hörgeschädigter Kinder e. V.

www.kleine-lauscher.de

info@kleine-lauscher.de

 

30.11.2005
LP2/2005

 

Bericht
Sabine Letzel-Wilhelm

 

Buchveröffentlichungen Batliner
Hörgeschädigte Kinder spielerisch fördern

Ein Elternbuch zur frühen Hörerziehung

Hörgeschädigte Säuglinge und Kleinkinder können heute dank Früherkennung, medizinisch-technischer und pädagogischer Versorgung auf weitgehend natürlichem Weg Hören und damit auch Sprechen lernen. Dennoch sind viele Eltern erst einmal verunsichert und besorgt, wenn ihr Kind die Diagnose "Hörschädigung" erhält.

Dieses Buch hilft Eltern wieder Sicherheit im täglichen Umgang mit ihrem hörgeschädigten Kind zu gewinnen. Anschaulich erklärt die Autorin Wissenswertes über das Hörvermögen, die Diagnose, Hörgeräte, die Hör- Sprachentwicklung im Eltern-Kind-Dialog und Fördereinrichtungen. In einer Fülle von Beispielen schildert sie, wie man die Vielfalt der alltäglichen Situationen und die Interessen des Kindes für die Hörentwicklung und Sprachanbahnung nutzen kann. Dabei werden auch Parallelen zur Montessoripädagogik gezogen und Aspekte der Mehrfachbehinderung berücksichtigt.

Ernst Reinhardt Verlag München,
ISBN: 3-497-01555-5,
Preis 17,90 €


Hörgeschädigte Kinder im Kindergarten

Ein Ratgeber für den Gruppenalltag

Ein umfassender Ratgeber für die Integration hörgeschädigter Kinder im Kindergarten: Er wendet sich hauptsächlich an alle, die im Regelkindergarten oder in integrativen Gruppen mit diesen Kindern arbeiten. Doch auch für Eltern und alle Fachkräfte der Frühförderung ist dieses Buch eine wertvolle Hilfe.

Anschaulich schildert die Autorin Wissenswertes über Mittel- und Innenohrstörungen, Diagnostik und technische Hörhilfen. Im Hauptteil des Buches werden praktische Tipps für den Gruppenalltag gegeben. Sie erfahren, wie die Kommunikation mit dem Kind am besten klappt, was im Umgang mit den Hörgeräten und Cochlea Implantaten zu beachten ist, und wie die Zusammenarbeit mit den anderen Fachleuten gut verlaufen kann. Wichtige Bestandteile der Elternarbeit und Ratschläge für das Verfassen von Förderplänen und Entwicklungsberichten runden diesen Ratgeber ab.

Ernst Reinhardt Verlag München,
ISBN: 3-497-01669-1,
Preis 14,90 €.